Josef-Staab-Platz Kiedirch mit Wiese und Bäumen mit Blick auf das Kiedricher Rathaus und die Kirche St. Valentinus und Dionysius

Kiedricher Rathaus

Blick auf den Josef-Staab-Platz

Abschluss im Projekt ENKOR – Was verraten die Forschungsergebnisse?


Anfang Juni 2023 wurde die Landinventur durchgeführt – also der bürgerwissenschaftliche Blick auf Leben, Wirtschaften und Engagement in der Gemeinde. Darauf folgte die sozialwissenschaftliche Feldforschung, die Interviews mit zahlreichen Engagierten aus Kiedrich einschloss. Gemeinsam mit den bereits erhobenen Daten zweier Gemeinden aus den Landkreisen Waldeck-Frankenberg und Main-Kinzig-Kreis stehen nun Vergleichsdaten aus drei hessischen Gemeinden zur Verfügung. Zeitgleich waren die Projektpartner – das TRAWOS-Institut der Hochschule Görlitz und das Thünen-Institut für Regionalentwicklung – in jeweils drei Gemeinden in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern unterwegs. Insgesamt wurden dabei Landinventuren in 41 Dörfern durchgeführt, 135 Einzelinterviews mit Akteuren, 14 Gruppeninterviews und 84 Haustürgespräche (nur in Hessen) geführt.  

Ziel des vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Projektes ENKOR war es, Antworten auf die Frage zu geben, wie sich bürgerschaftliches Engagement in ländlichen Räumen zukunftsfähig gestalten lässt, um zur Entwicklung ländlicher Räume entscheidend beitragen zu können. Dabei sollten Handlungsempfehlungen für lokale Akteure, für die Verwaltung sowie kommunale und bundesweite Politik gegeben werden.  

Da der eigentliche Termin für eine Infoveranstaltung und anschließende Werkstatt mit Engagierten aus Kiedrich abgesagt werden musste und kein neuer Termin gefunden werden konnte, wollen die Forschenden ihre Ergebnisse nun zumindest in der Lokalpresse teilen. Projektmanagerin Ljubica Nikolic: „Uns ist es sehr wichtig, dass vor allem auch die Menschen, die uns ihre Zeit geschenkt und Fragen beantwortet haben, von unseren Forschungsergebnissen erfahren, auch wenn wir so nicht gemeinsam an Handlungsempfehlungen arbeiten können. Auf diesem Weg möchten wir uns sehr herzlich für die großartige Unterstützung bedanken.“

So wurde die Präsentation, die eigentlich am Infoabend vorgestellt worden wäre, für Interessierte auf der ENKOR-Homepage der Universität Göttingen hochgeladen (www.uni-goettingen.de/ENKOR; Ordner „Engagementwerkstätten“). Hier zeigt sich sehr deutlich, was Kiedrich von den anderen hessischen Gemeinden unterscheidet – z.B. die Rolle des Bürgermeisters als zentrale Figur in der Engagementlandschaft der Gemeinde – aber auch, was überall gleichermaßen ins Auge fällt: es fehlen Soziale Orte für Jugendliche. Soziale Orte sind gemeinschaftlich nutzbarer öffentlicher Raum, mit niedriger Eingangsschwelle, an denen man sich spontan oder auch verabredet begegnet und kommuniziert. Man lernt sich über Millieugrenzen hinweg kennen und verstärkt die sozialen Bindungen untereinander. Soziale Orte, die auch wichtig als Ankerpunkte für bürgerschaftliches Engagement sind, gibt es in Kiedrich einige, sei es nun die Kirche, die Bücherei, der Weinprobierstand, das Bürgerhaus oder Gaststätten (siehe www.landinventur.de). Aber für Jugendliche ist das Angebot genauso unzureichend, wie in den anderen untersuchten hessischen Gemeinden. In Ermangelung eines Jugendraums, treffen sich all diejenigen, die noch nicht mobil sind „… in der freien Natur und suchen sich ihre Plätze.“, so eine Interviewpartnerin. 

Auffällig ist in Kiedrich das sehr vielfältige Vereinsangebot und das fast vollständige Fehlen nicht institutionalisierten Engagements, dabei wandelt sich bundesweit die Form, in der sich engagierte wird. Während Vereine schrumpfen (laut Freiwilligensurvey um 5,5% seit 1999) oder nicht mehr so stark wachsen, gewinnt individuell organisiertes, unabhängiges, informelles Engagement stetig an Bedeutung (ein Plus von 7 % im gleichen Zeitraum). In Kiedrich jedoch scheinen die Bürger in den Vereinen und dem klassischen Ehrenamt ein ausreichendes Angebot vorzufinden und nicht das Bedürfnis zu haben z.B. Initiativen zu gründen. Auffällig ist jedoch auch, dass sich einige Vereine bereits in ihrer Struktur anpassen, weniger hierarchisch arbeiten und sich mehr projektbasiert und partizipativ aufstellen. Diese Vereine arbeiten und entscheiden eher in Arbeitsgruppen, beteiligen, statt nur die Ideen des Vorstandes ausführen zu lassen.    

Was in keinem anderen Ort so betont wurde, ist das sehr gute Miteinander der Vereine, politischen Parteien und der Verwaltung. Ein Kompliment an alle Beteiligten! In der Abschlussmappe für die Gemeinde Kiedrich ist trotzdem eine Checkliste für die Verwaltung enthalten, anhand derer sich überprüfen lässt, wo vielleicht doch noch Verbesserungspotential in der Unterstützung der Engagierten zu finden wäre.

Und was wünschen sich die eigentlich sehr zufriedenen Engagierten in Kiedrich im Interview? 

Neben den Sozialen Orten für Jugendliche, würden Sie gerne sehen, dass sich die Hierarchien in den Vereinen noch weiter auflösen; sie hoffen auf Entbürokratisierung, wo dies möglich ist und einen „Ehrenamtsgrillabend“ von Bürgermeister Winfried Steinmacher, der die Aktiven im Hintergrund noch mehr berücksichtigt.


Diese Ergebnisse und noch deutlich mehr – wie z.B. das druckfrische ENKOR-Magazin – finden Sie auf der Homepage der Universität Göttingen (www.uni-goettingen.de/ENKOR).

 

Für weitere Informationen:

Ljubica Nikolic

Georg-August-Universität Göttingen
DARE, Lehrstuhl für Soziologie Ländlicher Räume
Platz der Göttinger Sieben 5
37073 Göttingen

ljubica.nikolic@uni-goettingen.de

http://www.uni-goettingen.de/ENKOR